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          Die Gemälde der Malerin Pepa Salas Vilar (1976 in Úbeda, Spanien) leben von der emotionalen Kraft der Wahrnehmung. Die unmittelbare Begegnung mit der Welt ist so Voraussetzung eines kreativen Prozesses, in dem jede Gemütsbewegung, jede aus der Empfindung heraus entsprungene Frage in eine Chiffre, eine Forme, eine Farbe malerisch umgedeutet wird. So findet man in ihren Gemälden eine Reihe von immer wiederkehrenden Motiven, mit denen der vielseitig zerstückelte Horizont der Wahrnehmung und die daraus resultierenden Prozesse des Denkens und Fühlens als eine andauernde Evokation bereits vorhandener Bilder interpretiert werden.

          An der Schwelle zwischen Beschreibung und Andeutung, zwischen Wort und Bild, zwischen Linie und Farbe evoziert das Werk in diesem Zusammenhang eben jene Ebene der Vorstellungskraft, die sich im psychoanalytischen Sinne in dem Mechanismus des Einfühlens und Vergleichens, des Antizipierens und Rekonstruierens konstituiert.    

   

      Indem im Werk Salas Vilar collagenartig unterschiedliche Motive vor einem meist neutral gehaltenen Hintergrund eingeordnet bzw. durch die Konfrontation gegensätzlichen Figurenkonstellationen Leerstellen erzeugt werden, wird der Betrachter dazu aufgefordert, sich paradigmatisch mit den eigenen Vorgängen der Weltaneignung auseinanderzusetzen.

 

 

Arturo Acevedo, Kunsthistoriker, 2014

El sabor del mar 2012

 

     Zwei Kinder sitzen am Strand und spielen. Neben ihnen erhebt sich links die riesenhafte Figur eines Mädchens, das sich ebenfalls Spielzeugen zuwendet. Durch seine vorgebeugte Haltung umrahmt es das Kinderpaar bzw. unterstreicht dessen Abgeschiedenheit in der Landschaft, dessen verträumte Aufmerksamkeit beim Spielen. Unter dieser Figurengruppe und in eine Reihe eingeordnet zeichnen sich die Profile kleiner Blauwale auf. Über ihren Rümpfen schweben unterschiedliche Quallen artige Formen. Ihre serielle und rhythmische Disposition im Bild fällt mit der Strenge der Farbskala zusammen, die am unteren Bildrand die Töne des Bildhintergrunds wiedergibt, wodurch dessen ordnende Funktion hervorgehoben wird.

 

     Wie einst die Künstler des Barocks mystische Visionen als eine in den Raum eindringende Szenerie evozierten, stellt Salas Vilar Bildebenen nebeneinander, welche die Dimensionen des Raums in der Wirklichkeit des Bildes auflösen oder erweitern bzw. die innere Bewegtheit der Protagonisten spiegeln. So wird zum Beispiel die Beziehung der Kinder zur Landschaft unmittelbar mit einem Bild, einer Art Sprechblase zum Ausdruck gebracht, wobei die Intensität dieses Augenblickes eine durch Bewegung und Zeit geprägte Dimension erfährt. Nicht umsonst wird die Gestalt des Mädchens in einem vergrößerten Bildausschnitt wiedergegeben bzw. in zwei unterschiedlichen Haltungen desselben Augenblickes dargestellt. Das im regelmäßigen Takt wiederholte Motiv des Wals registriert auch die Entfaltung dieses Momentes: die Nimbusse über den Rümpfen der Wale geben uns ebenfalls Auskunft über einen mit der Zeit verändernden Empfindungszustand. Das Gemälde beschwört so die bedächtige Vitalität einer Erfahrung, deren abwechslungsreicher Horizont unterschiedliche Ausprägungen findet. Auf diese Weise avanciert das Gemälde zum schematischen Repertoire von physischen und geistigen Eindrücken, die mit unseren eigenen Vorstellungen und Erfahrungen, mit unseren eigenen Bildern und Begriffen von Heiterkeit, Sehnsucht oder Kindheit konfrontiert und dadurch aktualisiert werden.

 

 

Veritas corrupta 2013

 

     Der Hintergrund des Bildes wird hier durch breite Pinselstriche dominiert, wobei die extrem verdünnte Farbe eine Vertikale zu dem horizontalen Farbauftrag bildet. Durch diese zugleich einfache und elegante Geste wird der malerische Raum festgelegt, aus dem die Komposition des Bildes ihren Ausgangpunkt nimmt. Die unterschiedlichen Motive werden im Sinne dieses Spiels ausgewählt und arrangiert. Besonders auffallend ist in diesem Zusammenhang das statuarisch wirkende Motiv des Blauwals zu sehen, das hier im Profil als koordinierendes Element bzw. als Begrenzungslinie zwischen Oben und Unten, Vor– und Hintergrund erfasst wird. So sind die Hände, die im malerischen Raum zu schweben scheinen, kontrapunktisch zu der Silhouette des Wals dargestellt. Der dünne Stiel einer Blume, den sie delikat dem Betrachter entgegenhalten und aus dem ein Augenpaar emporblüht, löst aber die träge Horizontale in eine spruchhafte vertikale Bewegung auf. Gleichzeitig wird die Waagrechte von dem nackten Körper eines Mädchens durchkreuzt, das zum Betrachter hin zu schreiten scheint. Die Aura, die sich um das Mädchen bildet, akzentuiert die Bindung dieses Motivs an die Senkrechte, aber die so evozierte Vertikale wird dann von den umgebenden und in die Ferne sich ausweitenden Motiven entkräftet und findet entsprechend zur Horizontale wieder.

 

     Die formale Struktur des Bildes entwirft auf diese Weise ein Koordinatensystem, auf dem die Konturen eines Raumes skizzenhaft angedeutet werden können. Diese Ambiguität des Gemäldes wird im Titel selbst aufgenommen und reflektiert. Der Spruch „Veritas corrupta“, die korrumpierte Wahrheit, erweckt den Anschein, als würde sich das Bild im Rahmen seiner Möglichkeiten, nämlich Illusion zu erzeugen oder Wirklichkeit zu ersetzen, selbst in Frage stellen und kritisch kommentieren. Allerdings wird das Sehen selbst als Organ der Weltaneignung, als Befragungsinstrument anerkannt und sinnbildlich als eine Art Spiegel dem Betrachter vorgehalten. Das Gemälde fordert ihn daher auf, sich die dargestellte Welt beschreibend anzueignen.

 

     Die Wahrheit tritt hier als eine nackte Frau auf und konfrontiert uns mit ihrem Körper, der allerdings recht jugendlich aber zugleich fast puppenhaft erscheint. Sie lächelt uns an, aber ihre Heiterkeit wirkt affektiert. Die triumphierende Geste, mit der man sie aus allegorischen Gemälden her kennt, entfällt zugunsten einer einstudierten Pose. Hier wird eine Wahrheit dargestellt, die nicht von der Zeit, von Kronos selbst, begleitet wird, und über die Dunkelheit besiegt, sondern eine, die mit langsamen Schritten einen bereits durchleuchteten und in der Schwebe gehaltenen Raum durchschreitet. Der Zustand der Labilität und der Leere wird noch durch die beigefügten Attribute dieser zeitgenössischen Wahrheit verstärkt: Kostüme unterschiedlichster historischer Provenienzen, die an Papierkleider für Ankleidepuppen erinnern. Denkt man über die Faszination nach, die bei diesem Spiel von der verwandelten Puppe beim Anziehen der verschiedenen Papierkleider ausgeht, wird dann der anscheinend entleerte Charakter der hier personifizierten Wahrheit zur Metapher einer zu besetzenden Leerstelle. Die Frage, die das Gemälde uns hier stellt, ist somit tiefgreifender. Denn problematisch sind nicht die möglichen Verkörperungen, welche die Wahrheit in einer Gesellschaft annehmen kann, vielmehr wird in der Unfähigkeit, hinter der Maske eine neue Vision der Wahrheit zu finden oder zu erfinden, eine Gefahr für die Entfaltung und Erneuerung des Individuums und dessen Institutionen erkannt. Der Künstlerin geht es so um den Verrat an dem Spiel mit der Vorstellungkraft, um die Abwesenheit jedes Strebens nach Sinn und demzufolge den Verlust einer kritischen Einstellung zu etablierten Wahrheiten.

 

In extremis 2014

 

     In ihrer neuen Serie „In extremis“ beschäftig sich die Künstlerin weiterhin mit der Frage nach der Wirklichkeit als Resultat einer immer währenden kreativen Auseinandersetzung. Vor einem neutralen Hintergrund und in stark reduzierten Bildausschnitten sind nun die Häupter junger Frauen zu sehen, die im Moment des Auftauchens aus dem Wasser festgehalten werden. Lange Haarsträhnen fallen ihnen ins Gesicht und auf die Schultern oder breiten sich wellenförmig über die Oberfläche des Wassers. Ein Moment der Intimität wird hier entworfen. Durch die starke Verengung des Bildausschnitts entsteht der Eindruck der Abgeschiedenheit, aber auch die Idee eines über die Bildgrenzen hinaus sich ausbreitenden uneingeschränkten Raumes. Ein Raum, dessen Oberfläche in ständiger Bewegung gebracht werden kann. Das Spannungsfeld, das so erzeugt wird, spiegelt sich auch in den Gesten der Frauen. In deren Zügen kann man entweder das Bild der Lust oder des Schmerzes ablesen.

 

     Der Akt des Auftauchens als Bewegung lässt sich so als Befreiung oder letztes Ringen nach Luft verstehen. Der Titel der Serie, der im medizinischen Jargon in Sterben liegend bedeutet, liegt die Vermutung nahe, dass diese Frauen im Begriff sind, eine Schwelle zu überschreiten. Es wird so ein undefinierbarer Moment beschrieben. Im christologischen Sinne sind diese Frauen kurz davor aus dem Wasser neugeboren zu werden. Diese Porträts werden Bildern afghanischer Frauen in Burka oder afrikanischer Flüchtlinge auf gebrechlichen Schiffen gegenübergestellt, so dass der Prozess des Werdens, des individuellen Erwachens emphatisch in dessen gesellschaftlicher Dimension erweitert wird.

 

 

Arturo Acevedo, kunsthistoriker.

 

 

 

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